Es war das Jahr 1703, als über Kufstein ein düsterer Schatten fiel. Der Winter hatte sich noch nicht ganz zurückgezogen, und doch lag eine drückende Hitze in der Luft – nicht vom Wetter, sondern von den Sorgen der Menschen. Aus dem Norden rückte das bayerische Heer heran, entschlossen, die Stadt einzunehmen. In einer Verzweiflungstat beschlossen die Bürger, ihre eigene Heimat zu opfern, um den Feind aufzuhalten: Sie legten Feuer an ihre Straßen, ihre Werkstätten, ihre Wohnhäuser. Der Wind tat sein Übriges und trieb die Flammen wie einen gierigen Drachen durch die Gassen.
Bald stand Kufstein in einem Meer aus Feuer. Dächer brachen krachend zusammen, Funken wirbelten wie ein glühender Sturm in den Himmel, und der Rauch erstickte jedes Geräusch außer dem Heulen der brennenden Balken. Menschen eilten verzweifelt durch den Qualm, um Habseligkeiten zu retten oder Angehörige zu finden. Die Stadt, die sie kannten, löste sich in Rauch und Asche auf.
Jetzt dauerhaft mit Aktien Geld verdienen – Das Buch für deinen Erfolg!
Und doch – mitten in dieser höllischen Szenerie geschah etwas, das bis heute niemand erklären kann. Das Auracher Löchl, ein altes Gasthaus im Herzen der Stadt, blieb unversehrt. Kein Funke setzte sein Dach in Brand, kein Balken glühte, kein Rauch schwärzte seine Mauern. Rundherum lagen verkohlte Trümmer, doch dieses eine Haus stand da wie ein trotziges Relikt aus einer anderen Welt.
Die Menschen, die es überlebt hatten, flüsterten schon bald von einem Schutzengel, der über dem Haus gewacht habe. Manche behaupteten, sie hätten im dichten Rauch eine Gestalt gesehen – hoch, leuchtend und unantastbar –, die die Flammen abwehrte wie ein unsichtbarer Schild. Andere meinten, die Mauern seien aus einem besonderen, feuerfesten Stein gebaut, den längst niemand mehr verwenden könne. Wieder andere vermuteten ein altes Gelübde oder einen Segen, den ein reisender Priester dem Gasthaus einst gegeben habe.
In den Jahren und Jahrhunderten danach wurde das Auracher Löchl mehr als nur ein Wirtshaus. Es wurde ein Ort, an dem sich die Legenden sammelten wie Wein im Keller. Gäste aus aller Welt wollten den Platz sehen, an dem ein Wunder geschehen war. Manche blieben lange, in der Hoffnung, das Geheimnis zu ergründen. Doch die Mauern schwiegen, und das Rätsel blieb bestehen.
Heute, wenn man in den holzgetäfelten Stuben sitzt, während draußen der Inn rauscht und die Lichter der Stadt glitzern, kann man fast vergessen, dass hier einst Feuer tobte. Aber ein Blick auf die alten Balken, die jenen Tag überstanden haben, erinnert daran: Inmitten von Zerstörung und Verzweiflung gibt es manchmal einen unerklärlichen Funken Hoffnung – und manchmal nimmt er die Gestalt eines Hauses an, das einfach nicht brennen will.
